Würzburger Quantenphysik-Konzept

Grundfakten der Quantenphysik und heuristische Methoden der QP in der Schule

Horst Hübel  -   Lehrerfortbildungsvortrag Dillingen 30.1.2014

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In den letzten Jahren wurden vereinfachte Rechen-Methoden für die Quantenphysik in der Schule diskutiert, die beeindruckende Ergebnisse liefern. Dazu gehört die Zeiger-Methode, die einerseits als eine vereinfachte Variante von Feynmans Pfadintegral-Methode gesehen werden kann, andererseits als elementarisierte Form der "Ausbreitung" Schrödinger'scher Wellen(funktionen) - was auch immer das bedeuten sollte. Dazu gehören auch Verfahren, bei denen Simulationsprogramme die Schüler von Lösungsmethoden der Schrödinger-Gleichung entlasten, ihnen aber Kernpunkte der Schrödinger-Theorie eindringlich vor Augen stellen, insbesondere den Zusammenhang zwischen "Quadratintegrabilität" (vereinfacht zu Endlichkeit der Wellenfunktion) und der Existenz diskreter (Energie-)Eigenwerte. Zu letzterem Punkt seien die Programme Schrödingers Schlange von Küblbeck und ein ähnliches Programm von Bader erwähnt, zur Zeigermethode wird auf die vielen Programme Baders hingewiesen. So relativ einfach die erwähnten numerischen oder mathematischen Verfahren in den vorgeschlagenen Näherungen und Spezialfällen für Schüler sein dürften, so schwierig dürfte es für sie und die unterrichtenden Lehrer sein, die zugrunde liegende Physik zu verstehen. Ich fürchte, hier gerät der Lehrer in die Gefahr, den Rahmen der Schulphysik zu überschreiten. Weil die Programme so einfach zu benutzen sind, können m.E. ihre Ergebnisse dennoch eine wichtige Funktion im Unterricht haben.

Hier soll ein Konzept vorgestellt werden, bei dem mehr Wert auf ein Verständnis der Grundlagen gelegt wird. Das haben sich auch Wiesner, Müller und Küblbeck und andere zum Ziel gesetzt. Insbesondere von Küblbeck und Müller wurde zusätzlich zu bekannten heuristischen Verfahren eine Variante der Komplementarität als heuristisches Prinzip hervorgehoben und an vielen modernen experimentellen Beispielen erläutert.

Ihre Arbeit führt das didaktische Würzburger Quantenphysik-Konzept fort, das etwas andere "Wesenszüge" quasi als Axiome formuliert, jetzt "Grundfakten" genannt, weniger "wellenmechanisch" sein möchte, auf die Zeigermethode verzichtet und auch gegenüber anderen modellmäßigen Veranschaulichungen auf Distanz geht. Es soll eine Sicherheit in den Grundlagen des Gebiets vermittelt werden. Gepaart mit einigen dieser heuristischen Methoden sollen wesentliche experimentelle Situationen verständlich gemacht werden, ohne in die Gefahr zu geraten mit den diskutierten - zugegebenermaßen  vereinfachten - mathematischen Methoden den Blick auf das Wesentliche für die Schulphysik zu verstellen und offene physikalische Probleme zuzudecken.

Zur Begründung werde ich manchmal Beispiele vorführen, die über die Schulphysik hinausgehen. In der Regel möchte ich nicht, dass sie in die Schulphysik eingeführt werden.

1. Sprachregelungen über Wellen und Teilchen in der Quantenphysik

Dabei soll versucht werden, möglichst eindeutige Sprechweisen zu verwenden. So wird, wie das auch schon von Küblbeck und Müller angestrebt worden ist, kaum von Wellen gesprochen werden, die ja im Rahmen von Schrödingers Theorie in der Regel abstrakte Wellen in hochdimensionalen Konfigurationsräumen sind und eben nicht im Anschauungsraum, wie Schülern kaum auszureden sein wird, wenn man in diesem Zusammenhang von Wellen spricht. Nach Zeilinger sind das "Wellen nur im Kopf der Physiker". Die Bornsche Wahrscheinlichkeitsdeutung sollte aber behandelt werden.

Nehmen Sie ein einzelnes Elektron. Wenn Sie Schrödinger-Theorie betreiben wollen, ist die zugehörige Wellenfunktion (ohne Berücksichtigung des Spins) eine Wellenfunktion in einem Raum, der wie der Anschauungsraum, in dem sich vielleicht Teilchen bewegen, dreidimensional ist. Aber dieser Raum könnte nicht nur ein dreidimensionaler Ortsraum, sondern auch der dreidimensionale Impulsraum sein. Im ersten Fall sind die drei Koordinaten x,y,z nicht die Koordinaten eines Teilchens, sondern die Koordinaten des Punktes, an dem eine Messung  vorgenommen werden wird, deren wahrscheinlicher Ausgang durch die Wellenfunktion vorhergesagt werden soll. Nehmen Sie aber einen Zweiteilchen-Zustand, z.B. aus zwei Elektronen, dann ist der zugehörige Raum (ohne Spin) 6-dimensional, also ganz klar nicht der Anschauungsraum, sondern der 6-dimensionale Konfigurationsraum, zuständig ausschließlich für Wahrscheinlichkeitsvorhersagen. Die Wellen der Schrödinger-Theorie agieren immer in einem abstrakten Konfigurationsraum. Nach Zeilinger existieren Wellenfunktion "nur im Kopf der Physiker".

Ich werde in meinem Vortrag wenig von Wellen in der Quantenphysik reden. Aber damit wir uns einig sind: Natürlich ist die Schrödinger-Gleichung eine Art Wellengleichung in Konfigurationsräumen für Teilchen-Zustände. Andererseits werden die Feldgleichungen  meistens sogar als Wellengleichungen im dreidimensionalen Ortsraum formuliert, aber für Operatoren! Aus ihnen lassen sich Informationen für Teilchen-Zustände und Nicht-Teilchen-Zustände entwickeln. Das geht m.E. über die Schulphysik weit hinaus und soll hier nicht besprochen werden. Die Vorstellung der klassischen Schrödinger-Theorie, nach der "Teilchen eigentlich Wellenpakete seien", in der Wellenfunktionen irgendwie als "reale" Wellen im Anschauungsraum angesehen wurden, ist seit Etablierung der Quantentheorie Ende der 20-er / Anfang der 30-er Jahre tot. Aber aus dieser Zeit haben sich leider noch viele irreführenden Sprechweisen erhalten: Elektronenbeugung, Materiewelle, Ladungswolke, "verschmierte Elektronen", das "Elektron im Atom als stehende Welle", aus der Übergangsphase auch "Aufenthaltswahrscheinlichkeit" statt "Nachweiswahrscheinlichkeit".

M.E. hängt damit der "Geburtsfehler einer Didaktik der Quantenphysik" zusammen, einer Didaktik, wie sie bis zur Jahrtausendwende üblich war. Der "Geburtsfehler" liegt darin, dass sie unterstellte, die Wellen der Quantenphysik seien Wellen im selben Raum, in dem sich die Teilchen bewegen. Historische Vorstellungen von Wissenschaftlern bis 1926, die aber bald überholt waren, im Zusammenhang mit dem Welle-Teilchen-Dualismus, einer Wellikel-Vermutung (Elektron sei zugleich Welle wie Teilchen/Partikel), der Vermutung, man könne Teilchen durch Wellenpakete beschreiben, ... lieferten die Grundlage. Deswegen verlangten die Lehrpläne an Schulen die Diskussion, ob Elektronen oder Photonen nun Teilchen oder Wellen seien.

2. Was meine ich mit heuristischen Verfahren?

Das "heuristische Verfahren" steht ja in der Didaktik in hohem Kurs. Physiker benutzen das Wort "heuristisch" aber anders und meinen damit etwas anrüchig eher "hingebastelt" oder "unbegründet, aber wohl richtig" oder "aus der Luft gegriffen, aber passend". Sie bezeichnen damit Methoden, die sich nicht aus irgendeiner Theorie ergeben, aber doch in der Lage sind, Sachverhalte richtig in einer Theorie, in Rechnungen oder Simulationen abzubilden. Das Verfahren hat generell eine wichtige Funktion, wenn die ersten Schritte in einem neuen Forschungsgebiet gemacht werden, oder wenn, z.B. für die Anwendung in der Technik, eine empirische Regel aufgestellt werden soll, deren theoretische Begründung zu komplex ist oder nicht interessiert. So wird es auch hier der Begriff eher verwendet, aber in durchaus positivem Sinn:

Da sich die vorgeschlagenen heuristischen Verfahren aus der möglichst kompletten und anerkannten Quantentheorie ergeben sollen, sollen sie - so weit wie möglich - mit ihr in Einklang sein. Sie sollen dem Schüler aber aufwändige Rechnungen ersparen, sollen schneller, sozusagen auf einer Abkürzung richtige Ergebnisse liefern, häufig eher qualitative, die aber für die Schule durchaus ausreichen. Aber sie sollen mit der richtigen Quantentheorie so weit wie möglich verträglich sein.

Ich habe mir also folgende Forderungen an "vernünftige" heuristische Verfahren für die Schule gestellt:

Grundlage dieser Ausführungen sind ältere und modernere Standardwerke der Quantentheorie.

Heuristische Verfahren in der Quantenphysik sind für die Schule natürlich schon lange vorgeschlagen worden.

Beispiel 1:

Z.B. wird zu einer Behandlung des H-Atoms, die über das Bohrsche Modell hinausgehen soll, vorgeschlagen, die Grundzustandsenergie E aus einem Minimalprinzip zu bestimmen. E soll aus kinetischer und potenzieller Energie zusammengesetzt werden ( - obwohl wir wissen, dass das Elektron nicht gleichzeitig kinetische und potenzielle Energie haben kann). Die potenzielle Energie habe dabei die übliche -1/r-Abhängigkeit, die kinetische Energie wird abgeschätzt durch eine Un-be-stimmtheitsrelation Δp·Δr = h/2π, wobei dann die Ortsun-be-stimmtheit Δr durch den Atomradius r und die Impulsun-be-stimmtheit Δp durch den "Minimalimpulsbetrag" p ersetzt wird. Man erkennt in p·r = h/2π sofort die Bohrsche Quantenbedingung (für n = 1). Sie liefert eine Ekin  proportional zu 1/r2 (Ekin an welcher Stelle?). Das Minimum der Gesamtenergie erhält man durch Ableitung der beiden Terme (prop. -1/r und prop. 1/r2) nach r. Das Verfahren liefert erstaunlich gut die exakte Grundzustands-Energie des H-Atoms (und ein Maß für den Atomradius).

Leider widerspricht es der Quantentheorie, insofern es explizit davon ausgeht, dass kinetische Energie und potenzielle Energie des Elektrons im Kernfeld gleichzeitig als Eigenschaften des Quantenobjekts existieren. Wir wissen aber aus der QT, dass in den stationären Zuständen, also solchen mit be-stimmter Gesamtenergie E, weder kinetische noch potenzielle Energie gleichzeitig zur Gesamtenergie messbar sind und allgemein auch diese nicht untereinander gleichzeitig.

Ein solches Verfahren würde mir weniger gefallen, da es ja gerade vom Ziel wegführt, einem Verständnis der QP näher zu kommen. Dass es komplementäre Größen gibt, die ein physikalisches System nicht gleichzeitig haben kann, wie hier Ort und Impuls bzw. potenzielle Energie und kinetische Energie oder kinetische und Gesamtenergie, scheint mir ein so wichtiger Gesichtspunkt zu sein, dass er nicht verletzt werden dürfte. Wpot kann nur eine abstrakte "Potenzialfunktion" sein, die die gleiche Form hat wie die klassische potenzielle Energie; "Potenzialoperator" und "Operator der kinetischen Energie" müssen wir in der Schule ja mit Recht vermeiden.

Eine genauere Analyse lässt sogar Zweifel am Ansatz Epot prop. -1/r aufkommen, weil ja der Ansatz nur für festen Radius r korrekt ist, aber hier auch noch angewandt wird, wenn r den "Aufenthaltsbereich" des Elektrons kennzeichnen soll. Man kann aber zeigen, dass die über den "Aufenthaltsbereich" mit Radius R gemittelte potenzielle Energie des Coulombpotenzials ebenfalls prop. -1/R ist, allerdings mit einem Faktor 3/2. Das hätte Konsequenzen für die quantitative Lage der Energieniveaus. Gründe für den guten "Erfolg" der originalen Rechnung sind auch klar: Die Rechnung ist identisch mit der vom Bohrschen Atommodell, wenn eine potenzielle Energie wie bei einer Kreisbahn mit Radius r im Coulombfeld angesetzt wird und die Bohrschen Quantenbedingung in der kinetischen Energie berücksichtigt wird.

Beispiel 2:

Nach einem anderen Verfahren wird das Coulombpotenzial des H-Atoms durch ein kugelsymmetrisches abschnittsweise konstantes Topfpotenzial mit unendlichen Wänden ersetzt, dessen Boden negative Energie W0 hat. W0 und Radius werden geeignet abgeschätzt. Dann werden die vermeintlich bekannten Energiestufen des Topfpotenzials (für unendlich tiefen Topf mit Boden bei Energie 0) zu der potenziellen Energie W0 im Topfpotenzial-Boden addiert um eine Gleichung für die Gesamtenergie zu erhalten, zusammengesetzt aus kinetischer und potenzieller Energie. Auch hiermit können die Energiestufen überraschend gut abgeschätzt werden. Unschön im Hinblick auf ein quantenmechanisches Atommodell erscheint wieder, dass das Verfahren die Vermutung nahelegt, dass das Elektron gleichzeitig potenzielle (W0) und kinetische Energie besitze, auch, wenn dies als allgemeine Aussage anderswo in solchen Darstellungen abgelehnt wird. (Vielleicht würden die Autoren solcher Vorgehensweisen einwenden, dass das Hinzufügen eines konstanten Potenzials W0 ja nur eine Verschiebung des Koordinatenursprungs der Energieskala bedeutet; dann könnte man über dieses Argument reden.) Für eine Abschätzung der Energiestufen ist eine solche Vorgehensweise wohl genügend gut; zu mehr taugt sie wohl nicht. Dafür taugt aber auch das Bohrsche Modell, das aus anderen Gründen der Quantenmechanik widerspricht.

Übrigens: Man umgeht das Problem der Kugelgeometrie nur in versteckter Weise: Die Energie-Eigenwerte für die Kugelgeometrie sind auch für das einfache Topfpotenzial nur für kugelige Zustände mit Bahndrehimpuls l = 0 relativ leicht herzuleiten (Vgl. Flügge, Rechenmethoden der Quantenmechanik, 33. Aufgabe). Nur für solche Zustände gilt: E = h2/2m π2/R2 n2 =   h2/(8mR2) n2  (n ε N) mit dem Kugelradius R. Für unterschiedliche Drehimpulsquantenzahlen l ¹ 0 erhält man sehr viel mehr weitere Zustände mit nicht analytisch angebbaren Energieformeln als Lösungen der zuständigen Besselschen Differentialgleichung.

3. Grundfakten der Quantenphysik und heuristische Methoden

Zunächst:  Was ist ein Teilchen? Die Quantentheorie sagt dazu nur eines: ein Eigenzustand des Teilchenzahloperators. In die Sprache der Schule übersetzt, könnte man sagen, dass Teilchen solche Quantenobjekte sind, die abzählbar sind. Das heißt, es kommen 0, 1, 2 oder 3, ... Objekte vor und es gibt Zählgeräte dafür. In diesem Sinn ist ein Elektron oder ein Photon per definitionem immer ein Teilchen, ohne jede Einschränkung, aber ein Quantenteilchen (mit besonderen nicht klassischen Eigenschaften). Genauso ein komplexes Fullerenmolekül oder ein Uran-Atom, trotz ihres komplizierten inneren Aufbaus, wenn sie als Ganzes betrachtet und gezählt werden. Wellen dagegen kann man nicht zählen. Sie sind niemals Teilchen im Sinne der Quantenphysik. Es gibt aber auch Quantenobjekte, bei denen eine Messung der Teilchenzahl immer 2 liefert, Teilchenzwillinge wie etwa Biphotonen (Diphotonen). Die bekanntesten Vertreter der Teilchenzwillinge sind wohl Cooper-Paare bei der Supraleitung. Sie gibt es in der klassischen Physik gar nicht. Sie bestehen nicht aus zwei individuellen Teilchen. Erst bei einer Messung können sie in solche "zerlegt" werden mit bestimmten individuellen Eigenschaften. Aber Licht und Materie kommen nicht nur in Teilchen-Zuständen mit einer be-stimmten Anzahl von Teilchen vor. Es gibt auch wichtige Zustände mit un-be-stimmter Teilchenzahl. Das ist eine der Stellen, an denen sich Abweichungen von der klassischen Vorstellung eines Teilchens ergeben. Quantenobjekte ist der Oberbegriff zu alle Objekte der Quantenphysik.

Quanten-Teilchen sind Träger einiger weniger fester Eigenschaften wie Ladung, (Ruhe-)Masse, Spin, Baryonenzahl, ... , aber nicht von Ort, Geschwindigkeit, Impuls, ... (wenn diese nicht gemessen sind).

Bei geladenen Teilchen ist der (seit ca. 1930) neue Teilchenbegriff in Einklang mit dem Millikan-Versuch, der ungeteilte freie Elektronen ausschließt. Bei Photonen zeigt das Grangier-Experiment (GRA-Experiment, nach seinem Erfinder: Grangier, Roger und Aspect), dass auch Photonen nur ungeteilt und nur abzählbar vorkommen (Simulationsprogramm PHOTONEN vom Autor). Es gab eine Reihe von handfesten Argumenten, die nach langem Ringen um die Interpretation der Schrödinger-Theorie Anfang der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts die Annahme von "verschmierten" Elektronen, Ladungswolken im Atom und konkreten Wellenpaketen endgültig widerlegten (nicht beobachtete Selbstwechselwirkung, Millikan-Versuch, einigermaßen lokalisierte Wellenpakete bleiben i.a. nicht lokalisiert, sondern fließen auseinander, die Wellenfunktion stellt keine Wellen im Anschauungsraum dar, sondern Wellen in abstrakteren Konfigurationsräumen, die i.A. hochdimensional sind - bei 2 Teilchen ohne Spin schon 6-dimensional). Wellenpakete für Wahrscheinlichkeitsverteilungen sind natürlich wesentlicher Bestandteil einer quantitativen Theorie.

Die Grundfakten bzw. darauf aufbauenden heuristische Methoden bilden ein konsistentes System. Man kann natürlich an einzelnen Punkten, insbesondere an Formulierungen, rütteln, muss dann aber darauf achten, dass wieder ein in sich geschlossenes System von Argumenten entsteht. Es ist nicht beabsichtigt, ein vollständiges axiomatisches System zu formulieren.

Das nachfolgende Grundfaktum sollte nur der Lehrer im Hinterkopf behalten, es sollte seine Sprechweisen bestimmen, aber nicht die Inhalte des Unterrichts:

F Revision des Teilchenbegriffs und des Wellenbegriffs bei Vielteilchen-Zuständen

Einerseits gibt es keinen "Welle-Teilchen-Dualismus", da Teilchen klar definiert und ohne "Alternativcharakter" sind. Elektronen und Photonen sind unzweifelhaft Teilchen im Sinne der Quantenphysik, weil sie abzählbar sind. Teilchen sind keine Wellenpakete, es gibt keine "verschmierten Teilchen"; auch im Atom sind Elektronen keine stehenden Wellen. Wellenpakete können aber dazu taugen, die wahrscheinlichen Nachweisorte eines Teilchens zu beschreiben, wenn dieses im Ortsraum (oder auch im Impulsraum) wenigstens einigermaßen lokalisiert ist.

λ = h/p ist auch nicht die "deBroglie-Wellenlänge des Elektrons", sondern die "dem Elektron zugeordnete deBroglie-Wellenlänge", weil das Elektron keine Welle ist und deshalb auch keine Wellenlänge haben kann.

Der Teilchenbegriff hat nichts mit Lokalisierung zu tun. Ein Teilchen, das im Impulsraum scharf lokalisiert ist (enges Wellenpaket zur Beschreibung von Messungen an ihm), ist im Ortsraum total unlokalisiert und umgekehrt.

Andererseits handelt es sich bei Quantenteilchen nicht um klassische Teilchen, denn:

Nachtrag

In der Zwischenzeit ist es mit gewissen Näherungen gelungen, für den kohärenten Zustand des Atomlasers analog zu elektromagnetischen Wellen reellwertige Wellen zu konstruieren, die die Bezeichnung "Materiewellen" eher verdienen als Wellenfunktionen.

4. Anwendungen der heuristischen Methoden in der Schule

  1. Deutung der Interferenz beim Doppelspalt: zwei klassisch denkbare Möglichkeiten für den Durchtrittsort ("Einteilchen-Interferenz") => Interferenz mit der Ausbildung von Maxima und Minima. Abzulehnende Sprechweise: "Das Elektron interferiert am Doppelspalt mit sich selbst": würde Existenz eines bzw. zweier Durchtrittsorte suggerieren. Wird ein Durchtrittsort gemessen, d.h. wird Welcher-Weg-Information (WWI) gewonnen, dann verschwindet die Interferenz. Bei ungenauer WWI wird die Interferenz verwaschen. (Sonderfall der Komplementarität)

  2. Scully-Englert-Walther-Experiment:  Die Störung der Interferenz durch ein Welcher-Weg-Experiment (WWE) hat nichts mit einer klassischen Störung durch die Ortsmessung zu tun (in dem Sinne, dass durch die Ortsmessung unkontrollierbar Impuls an das zu messende Teilchen übertragen wird, der es sozusagen aus der Bahn schlägt und so die Interferenz verhindert), wohl aber damit, dass durch die Ortsmessung i.A. der Zustand des Systems verändert wird, in dem Sinn, dass eine vorher un-be-stimmte Messgröße jetzt be-stimmt wird. Auch bei diesem Experiment wird es offenbar: Es handelt sich um keine realistischen Wellen, sondern Wellen in einem 6-dimensionalen Raum; nur der atomare Anteil überlagert sich auf dem Interferenzschirm, während der photonische Anteil getrennt in den beiden Resonatoren zurückbleibt und nicht interferieren kann. (Sonderfall der Komplementarität, begründbar durch Wellenfunktionen im 6-dimensionalen Raum)

  3. Tunneleffekt: Die klassische Argumentation ist nicht gültig, weil im Potenzialtopf Gesamtenergie und potentielle Energie oder Gesamtenergie und kinetische Energie oder kinetische und potenzielle Energie nicht gleichzeitig messbar sind, nicht gleichzeitig einen physikalischen Sinn haben. Damit ist es nicht mehr verboten, dass ein Teilchen auch in einer Potenzialbarriere zu finden ist. Ein zweites Argument, nach dem mit Hilfe der HUR stark streuende Messwerte für die (ohne Messung nicht existente) Eigenschaft kinetische Energie sogar jenseits der Gesamtenergie zulässig ist, unterstützt das Argument. Der Tunneleffekt ist damit qualitativ erklärt. Was noch fehlt sind Wahrscheinlichkeiten für den Nachweis des Teilchens in "erlaubten" und vermeintlich "verbotenen" Potenzialbereichen. Das erfordert z.B. eine Lösung der Schrödinger-Gleichung, die m.E. auch bei anderer Vorgehensweise Schulniveau überschreitet.

  4. Potenzialkasten : zwei klassisch denkbare Möglichkeiten für den Impuls => Interferenz, die zur Ausbildung von Maxima führt. (Vgl. Wahrscheinlichkeitsdichte für Nachweis eines Teilchens in der Nähe eines bestimmten Ortes. Entsprechend  gibt es auch im Atom konkurrierende klassisch denkbare Möglichkeiten, zwischen denen nicht unterschieden wird, z.B. eine radiale Auswärts- und eine radiale Einwärtsbewegung. Die Folge ist Interferenz mit Maxima und Minima längs der komplementären Größe, dem Radius. Das klingt nach stehenden Wellen. Die würde ich hier aber unbedingt vermeiden, weil m.E. die Schüler dann nicht vermeiden könnten an aus dem Zentrum quellenden und sich zum Zentrum hin kontrahierenden (realen) Wellen zu denken. Ich sehe das Grundfaktum "Interferenz als Konkurrenz nicht unterschiedener klassisch denkbarer Möglichkeiten" als eine hinreichende qualitative Erklärung von Minima und Maxima der Wellenfunktion bzw. der Nachweiswahrscheinlichkeit an.

  5. Mach-Zehnder-Interferometer und Knallertest: Jeweils Demonstration, dass WWI und Interferenz sich gegenseitig ausschließen (Sonderfall der Komplementarität). Knallertest als prinzipielles Beispiel einer "nicht verbrauchenden Messung" (quantum non demolition measurement).

  6. Quantenschwebungen / Ramsey-Interferometer: Entspricht Mach-Zehnder-Interferometer ("Interferenz als Konkurrenz nicht unterschiedener klassisch denkbarer Möglichkeiten"), aber statt klassisch denkbarer Wege im Ortsraum hier "Energiewege". Verwendet werden hoch angeregte Rydberg-Atome, von denen nur zwei benachbarte Energiezustände /g> und /a> ("Grundzustand" und angeregter Zustand) betrachtet werden. In der ersten Ramsey-Zone wird aus einem reinen Zustand /g> ein  Überlagerungszustand aus /g> und /a> hergestellt. U.a. wegen unterschiedlichen Energien der beiden Zustände entwickeln sie sich auf dem Weg zur zweiten Ramsey-Zone unterschiedlich; es entsteht eine Phasenverschiebung φ . In der zweiten Ramsey-Zone werden die Zustände wieder umbesetzt, so dass schließlich Überlagerungszustände entstehen, deren Betragsquadrat einen Interferenz-Term enthält, der von φ abhängt.

  7. WWI-Experimente: Doppelspalt, MZI, ... Versuche mit verzögerter Entscheidung: Es wird erst entschieden, ob nach einem Weg oder nach Interferenzerscheinungen gefragt werden soll, "wenn das Teilchen die Apparat überwiegend oder ganz durchlaufen hat". Der unterschiedliche Ausgang der Experimente hat offenbar nichts mit einem vermeintlichen Wellen- oder Teilchen-"Charakter" der Teilchen zu tun, sondern mit der Fragestellung, die der Experimentator an sie richtet. Es wäre absurd zu behaupten, dass diese Entscheidung des Experimentators sich auf die Vergangenheit auswirken könnte, so dass ein Teilchen rückwärts eventuell vor Milliarden von Jahren entschieden hätte, ob es "wie ein Teilchen auf einem be-stimmten Weg, oder wie eine Welle auf zwei Wegen gleichzeitig" zum Nachweispunkt läuft. Das hat nichts mit einem vermeintlichen "Wellen-" oder "Teilchen-Charakter" zu tun!

    Beispiele dazu und vor allem Wheelers Gravitationslinsen Interferometer   v20.html

  8. Quantenauslöscher (Quantenradierer):  v15a.html :  Interferenz kann auch  nachträglich noch zurückgewonnen werden, wenn Welcher-Weg-Information ausgelöscht wird. Wieder ist es so, dass die Beobachtungen nichts mit einem "Wellencharakter" oder "Teilchencharakter" zu tun haben, in dem Sinn etwa, dass einerseits "Interferenz - auf beiden Wegen gleichzeitig - Wellencharakter" und andererseits "keine Interferenz - auf  einem bestimmten Weg - Teilchencharakter" zusammengebracht werden. Die Entscheidung, ob Interferenz zurückgewonnen und WWI ausgelöscht wird, kann ja auch erst dann fallen, wenn die Photonen die Apparatur längst durchlaufen haben. Bildlich gesprochen können sie am ersten Strahlteiler ja nicht "wissen", wie sie die Apparatur nach Meinung des Experimentators durchlaufen sollen um der gewünschten experimentellen Situation zu genügen.

  9. Einige Grunderscheinungen der Hohlraum-Quantenelektrodynamik (cavity quantum electrodynamics) werden diskutiert. Ein idealer Hohlraum kann danach z.B. von einem Atom ein Photon nur dann aufnehmen, wenn die halbe Lichtwellenlänge genau in den Hohlraum eingepasst werden kann, wenn Lichtfrequenz mit einer Eigenfrequenz des Hohlraums übereinstimmt. Bei Übereinstimmung wird die Emission eines Photons begünstigt ("Photonenraub"), bei Nichtübereinstimmung behindert ("Photonenphobie"). Das kann angewendet werden um die Lebensdauer bestimmter angeregter Zustände zu vergrößern bzw. die Linienbreite (typisch: 1 Hz) zu verkleinern, evtl. nützlich für Atomuhren.

  10.  Weitere Versuche zur Erläuterung der Grundfakten:

11. "Schulversuche":

Reale und simulierte Versuche erläutern einige der Grundfakten; sie sollen keinen Quantencharakter "beweisen":

5. Resümee

Liste der Grundfakten:

  • A objektive Un-be-stimmtheit: Eine Messgröße erhält erst durch eine Messung einen physikalischen Sinn. Sonst ist die Messgröße un-be-stimmt.
  • B Komplementarität (Nicht-Gleichzeitige-Messbarkeit): Nicht alle klassisch denkbaren Eigenschaften eines Systems sind gleichzeitig realisiert / haben gleichzeitig einen physikalischen Sinn / sind gleichzeitig messbar.

  • C Einteilchen-Interferenz ist die Interferenz von nicht unterschiedenen klassisch denkbaren Möglichkeiten.
  • D WWI und Interferenz  sind komplementär zueinander.
  • E HUR als Folge der Nicht-Gleichzeitigen-Messbarkeit.
  • ( F Revision des Teilchenbegriffs )

Erfolge:

Eine Reihe von Fragestellungen werden als physikalisch sinnlos erkannt:

Eine Bemerkung zum Welle-Teilchen-Dualismus im ursprünglichen Sinn:

Wenn Sie irgendetwas sagen von der Art:

"Je nach Experiment verhält sich das Elektron/Photon wie eine Welle oder wie ein Teilchen"

dann vertreten Sie eine historische Hypothese, die seit den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts als überholt gilt! In Wirklichkeit geht es um die Art der Fragestellung, auf die die Natur korrekt antwortet, und um Wahrscheinlichkeiten. Die Physik kann auch nichts zu einem "Verhalten" sagen. Siehe das Zeilinger-Zitat unten.

Eine Bemerkung zur "Modellphilosophie":

Gemeint sind Varianten der Aussage, dass je nach Experiment das Modell einer klassischen Welle oder das Modell eines klassischen Teilchens zur Beschreibung eines Quantenteilchens zweckmäßig/notwendig sei.

Als didaktisches Modell ist diese Aussage nicht eigentlich falsch ("notwendig" wäre falsch). Aber es handelt sich dabei nicht um eine wissenschaftliche Aussage und ist aus der Quantenmechanik selbst nicht begründbar. Die "Modellphilosophie" ist auch nicht Gegenstand der Quantenmechanik. Sie versagt bei Mehrteilchen-Zuständen, bei denen die verwendeten Wellen(-funktionen) als Wellen in hochdimensionalen Konfigurationsräumen klar erkennbar sind. Sie versagt auch bei elektromagnetischen Wellen, Schallwellen (Phononen) und anderen, die am ehesten durch kohärente Zustände mit un-be-stimmten Teilchenzahlen beschrieben werden. Aber sie ist manchmal zweckmäßig zu qualitativen "Erklärungen". Jedoch gibt es nur wenige Experimente, die zu einem bestimmten Modell zwingen. Dazu gehören nicht Interferenz, Photoeffekt, Gitterbeugung, wohl aber der Millikan-Versuch, das GRA-Experiment u.a.

 

Anton Zeilinger

Indeed, following Bohr, I would argue that we can understand quantum mechanics, if

we realize that science is not describing

how nature is

but rather expresses

what we can say about nature.

6. Eine Auswahl von Literatur und Links:

J. Küblbeck, R. Müller, Die Wesenszüge der Quantenphysik, Aulis Verlag Deubner, Köln, 2003

E. Fick, Einführung in die Grundlagen der Quantentheorie, Akademische Verlagsgesellschaft, Frankfurt am Main, 1972   (Begriffliches sehr klar!)

J.J. Sakurai, Modern quantum mechanics, Addison-Wesley, Redwood City, 1985

M. Le Bellac, Quantum Physics, Cambridge University Press, Cambridge, 2006   (auch mit moderneren Experimenten!)

A. Zeilinger, Einsteins Schleier, Die neue Welt der Quantenphysik, Beck, München, 2003  (ohne Formalismen; Begriffliches an modernen Experimenten sehr klar dargelegt)

R. Loudon, The quantum theory of light, Clarendon Press, Oxford, 2000   (insbesondere das Kapitel über kohärente Zustände von Licht)

Münchner Internetprojekt zur Lehrerfortbildung in Quantenmechanik (Milq) http://homepages.physik.uni-muenchen.de/~milq/milq_basiskursp01.html

http://milq.tu-bs.de/index.php/hinweise/downloads/118-simulationsprogramme-download.html

http://www.muthsam.de/doppelspalt.htm

http://www.forphys.de (Enthält meine Ausführungen noch ausführlicher und noch Vieles mehr.)