Würzburger Quantenphysik- Konzept

G47a Verschränkte Zustände mit un-be-stimmten Ein-Teilchen-Eigenschaften*)

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Hier werden "verschränkte Zustände" näher erläutert. Durch einen Widerspruchsbeweis wird dann gezeigt, dass die beitragenden Teilchen nicht schon in ihrer Quelle mit be-stimmten Eigenschaften ausgestattet werden.

Nobelpreis Physik 2022 an Alain Aspect und John Clauser und Anton Zeilinger

Ausgangssituation eines Beispiels:

Emission eines Elektronenzwillings aus einer Zwei-Elektronen- Quelle

In einer Quelle sollen ruhende Atome mit Drehimpuls 0 Elektronenpaare aussenden. Weil diese stark miteinander verknüpft sind ("stark korreliert", z.B. weil die Elektronen beide gleiche Energie haben) werden sie auch Elektronenzwilling genannt.

Wenn das zerfallene Atom immer noch Drehimpuls 0 und Impuls 0 hat, müssen die beiden Elektronen entgegengesetzten Impuls (bzw. Bewegungsrichtung) und entgegengesetzten Spin haben. Das ergibt sich daraus, dass der Gesamtimpuls und der Gesamtspin des Elektronenpaars 0 sein müssen.

Das ist aber wesentlich problematischer, als es auf den ersten Blick erscheint! Die Feststellung hat nämlich überraschende Konsequenzen.

Ist das ein realistisches Bild der Situation? Sind die Eigenschaften der jeweiligen Elektronenpaare schon nach dem Austritt aus der Quelle be-stimmt und variieren nur zufällig von Elektronenpaar zu Elektronenpaar? Ein solches Modell wird im Text widerlegt.

Anmerkung: Die Bewegungsrichtung (Impulsrichtung) selbst und die Richtung, auf die sich die Spins beziehen, ist offen. Die Bewegungsrichtung ergibt sich aus der Position eines Detektors, der zufällig manchmal anspricht oder auch nicht; die Bezugsrichtung für die Spins wird frei gewählt.

Es stellt sich heraus, dass Impuls (bzw. Bewegungsrichtung) und Spin beider Teilchen ohne eine Messung un-be-stimmt sind.

Ein Messergebnis

(1) Von der Quelle aus in einer bestimmten Richtung steht eine Stern-Gerlach-Apparatur (Spin-Messer) für eine bestimmte, aber willkürliche Spinrichtung, mit dem gleichzeitig der Spin und der Ort (d.h. die Ausbreitungsrichtung) gemessen wird.

Sobald an einem Elektron eine Spin-Messung vorgenommen wurde, ist instantan klar, dass das zweite Elektron in entgegengesetzte Richtung gelaufen ist und entgegengesetzten Spin hat, jeweils im Vergleich zur selben Bezugsrichtung.

Das Ergebnis ist äußerst überraschend: Unabhängig davon, wie weit die beiden Elektronen bei der Messung von einander entfernt sind, wird mit dem Be-stimmt-Werden des Spins eines Elektron auch der Spin des anderen be-stimmt, auch, wenn die Elektronen Lichtjahre voneinander entfernt sind!

Entsprechende Versuche mit Photonen bestätigten die Untersuchungen, selbst wenn die Mess-Stationen mehrere Hundert Meter (Weihs und Zeilinger) oder gar einige Zehn km (Gisin) voneinander entfernt waren. Die Gruppe um Gisin sandte dabei das Photonenpaar durch Glasfaserleitungen der Schweizer Telecom durch den Genfer See.

Zur Abbildung: An einem bestimmten Elektronenpaar werden Spin-Messungen vorgenommen.  Mit dem Be-stimmt-Werden des Spins eines Elektrons steht auch instantan der Spin seines Partners fest, wie sich im Experiment nachweisen lässt.


(2) Führt man die Spin-Messungen sehr häufig durch, findet man in 50% der Fälle den Spin parallel zur Bezugsrichtung, mit 50%-iger Wahrscheinlichkeit entgegengesetzt dazu. Abgesehen von diesen Wahrscheinlichkeitsaussagen findet man aber keine Gesetzmäßigkeit; die Aufteilung auf die beiden Richtungen erfolgt völlig zufällig, wieder ein Beispiel des "objektiven Zufalls".

(3) Das gilt - kaum zu glauben - auch dann, wenn die beiden Elektronen Lichtjahre von einander entfernt sind! Die Quantentheorie lehrt, dass keine Wechselwirkung schneller als das Licht dafür verantwortlich ist, sondern, dass es sich nur um das Be-stimmt-Werden einer Kenntnis handelt. Es gibt Physiker, die diese merkwürdige Eigenschaft von Zweiteilchen-Zuständen gerade als "Fernwirkungslosigkeit" der Quantenphysik charakterisieren.

(4) Man erkennt in der schematischen Graphik für die Ergebnisse vieler aufeinander folgender Spin-Messungen ein doppeltes zufälliges Verhalten: Der Nachweis überhaupt erfolgt in zufälligen Zeitabschnitten, und das Ergebnis der Spin-Messung ist zufällig positiv oder negativ. Bei sehr vielen Messungen treten beide Werte jeweils in 50% aller Fälle auf. ("objektiver  Zufall")

Versuchsweise Konstruktion eines Modells zur Erklärung

Die Quelle sende viele Elektronenpaare aus. Jedes Elektronenpaar habe schon bei der Erzeugung zwei be-stimmte, entgegengesetzte Impulse und zwei be-stimmte, entgegengesetzte Spins mitbekommen, die lediglich nicht bekannt sind.

Die Messapparatur registriere dann immer nur ein individuelles Paar des Ensembles aus vielen verschieden orientierten Elektronenpaaren.

Dann könnte durch eine einzige Messung entschieden werden, welche der möglichen Paarkombinationen (bei der Aussendung aus der Quelle) realisiert ist. Die Problematik entspricht der von Bertlmanns Socken.

Überprüfung des Modells:

Geänderte Messung

Die Spin-Messer werden anders orientiert (gedreht) und anders positioniert: Gleiches Ergebnis: entgegengesetzte Impulse und Spins.

Das muss ja auch so sein, weil keine Richtung im Raum ausgezeichnet ist bzgl. der die Beobachtung, wie zuerst beschrieben, erfolgen würde, während sie bei anderen Orientierungen abweichen würde.

Das Modell scheint auch diese Beobachtung zu erklären und noch zu stimmen.

Problematisierung der Modellüberlegung

(1) Man greife sich ein Elektronenpaar heraus mit be-stimmten Orientierungen der Spins (sagen wir parallel zur z-Achse)  - nach unserem Modell soll das ja möglich sein - und messe die Spins mit einer Bezugsrichtung, die zur Orientierung der Spins senkrecht ist, sagen wir die y-Richtung. Klassisch erwartet man, dass kein Elektron im Spin-Messer abgelenkt wird (vermeintlich Spin in y-Richtung = 0, er ist bzgl. der y-Richtung weder nach oben noch nach unten orientiert).

Die Messung zeigt jedoch: auch bezüglich der neuen Bezugsrichtung passieren die beiden Elektronen mit entgegengesetzten Spins:

Mit 50%iger Wahrscheinlichkeit passiert das Elektron 1 mit Spin parallel zur neuen Bezugsrichtung, in 50% aller Fälle mit Spin entgegengesetzt zur y-Achse, wieder dem "objektiven Zufall" unterworfen.

(2) Aber auch: Mit 50%iger Wahrscheinlichkeit passiert das Elektron 2 mit Spin parallel zur neuen Bezugsrichtung, in 50% aller Fälle mit Spin entgegengesetzt zur y-Achse.

Dann käme aber etwas Merkwürdiges heraus, nämlich, dass beide Elektron zuweilen gleichen Spin haben sollten, z.B. in Richtung y-Achse.

Das kann aber nicht sein, weil dann der Gesamtspin des Elektronenpaars nicht 0 wäre.


(3) Zur Abbildung: Bei einem Spin-Messer senkrecht zur ursprünglichen Spinrichtung wären manchmal die Spins des Elektronenpaars gleichgerichtet in y-Richtung (gelb gezeichnet), in anderen Fällen gleichgerichtet in -y-Richtung (grün gezeichnet). Damit wäre der Drehimpulserhaltungssatz verletzt, nach dem der Gesamtspin 0 sein muss.

Versagen des Modells

Wenn wir das Modell anwenden, dass aus der Quelle Elektronenpaare mit be-stimmten Impulsen und be-stimmten Spins bereits herauskommen, von denen nur noch durch eine Messung ein Paar ausgewählt wird, erhalten wir einen Widerspruch, nämlich, dass dann manchmal die Spins der beiden Partner nicht einander entgegen gerichtet sind. Das Modell muss falsch sein.

Was sagt die Quantenphysik dazu?

Bei der Aussendung des Elektronenpaares sind die Orientierungen der Spins noch nicht festgelegt. Zeilinger: "keines der Teilchen trägt einen Spin, ehe es gemessen wird".

Es ist falsch anzunehmen, die beiden Teilchen hätten bereits vor der Messung den beobachteten Spin besessen.

Wir könnten uns ja lange nach der Emission, aber erst kurz vor der Spin- Messung noch entscheiden, welche Bezugsrichtung wir für die Spin-Messung verwenden wollen. Weder die Quelle noch das Teilchen könnten sich rechtzeitig auf unsere willkürliche Wahl einstellen. Dennoch würden wir das Ergebnis erhalten, dass beide Elektronenspins immer entgegengesetzt sind.

Das tatsächliche Messergebnis sieht so aus:

Auch nach der Spin-Messung bzgl. der willkürlich gewählten y-Achse sind die Elektronenzwillinge korreliert, d.h. sie zeigen entgegengesetzten Spin, in 50% der Fälle wie oben dargestellt, in 50% der Fälle wie unten. Ein be-stimmter Spin entsteht erst durch die Messung.

Folgerung:

Die Elektronen des Elektronenpaars haben bis vor dem Nachweis, also auch beim Verlassen der Quelle, weder einen be-stimmten Impuls, noch einen bestimmten Ort, noch einen be-stimmten Spin. Be-stimmte Werte entstehen erst bei einer Messung. Welche be-stimmten Werte aus einem Vorrat möglicher entstehen, ist zufällig und in der Regel völlig unabhängig davon, was vorher gemessen wurde.

Nachtrag:

Bei einer zweiten Spin-Messung bzgl. einer geänderten Bezugsrichtung (z.B. der y-Richtung statt der z-Richtung) ergeben sich solche Spins, als wären die Ergebnisse der früheren Messung mit be-stimmten Spins parallel oder antiparallel zur z-Richtung  völlig "vergessen" worden.

Hinweis:

Aufhebung der Korrelation nach der ersten Spin-Messung

Nach einer ersten Spin-Messung hat sich die Natur für eine bestimmte Paarkombination entschieden.

Dann ist der verschränkte (Zwei-Teilchen-)Zustand "aufgebrochen" und es sind Zustände von zwei einzelnen Elektronen entstanden, die nicht mehr bzgl. des Spins korreliert sind. (In der Zeichnung ist nur das eine der beiden möglichen Messwerte-Paare ausge- führt.)

Bei einer zweiten Spin- Messung verhalten sie sich wie unabhängige Teilchen. Als Folge können die beiden Elektronen jetzt gleichen oder entgegengesetzten Spin in y-Richtung haben.

*) weitgehend nach Zeilingers "Einsteins Schleier", 2003

Vgl. auch entsprechende Überlegungen und Versuche mit Photonenzwillingen . Dort wird auch auf ein Simulationsprogramm von R. Erb hingewiesen.